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Teil 1: DAOs und neue Formen kollektiver Entscheidungsfindung

 

Wie sehen faire kollektive Entscheidungen aus? Eine neue Art von Organisationen auf der Blockchain zeigt altbekannte Mängel in der Entscheidungsfindung auf und bringt neue Mechanismen ans Licht.

Michael Heger, 18. Juni 2024      ⌛️ 5 Minuten      📖 Glossar mit den wichtigsten Begriffen 

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Ein neues Phänomen findet allmählich Eingang in die öffentliche Diskussion: Dezentrale Autonome Organisationen, kurz DAOs. Anfang 2022 machte UkraineDAO Schlagzeilen, als sie nach der russischen Invasion in kurzer Zeit 22 Millionen Dollar zur Unterstützung der Ukraine sammelte. Kurz zuvor hatte ConstitutionDAO innerhalb weniger Tage 40 Millionen Dollar akkumuliert und bei einer Auktion von Sotheby's nur knapp den Kauf einer Originalkopie der US-Verfassung verpasst. Oder CityDAO, ein Kollektiv, das 40 Hektar Land in Wyoming kaufte, um eine "dezentralisierte Stadt" zu errichten, die von ihren Bürgern mithilfe der Blockchain-Technologie verwaltet wird.  

 

Aufstieg einer neuen Art von Organisation  

Das sind nur drei Beispiele für die Umsetzung eines Konzepts, das 2016 erstmals auf der Ethereum-Blockchain realisiert wurde. The DAO, ein gemeinschaftsbasierter Investmentfonds sammelte 150 Millionen Dollar und fand wenige Monate später ein unrühmliches Ende.   

 

Doch was genau ist eine DAO? Selbst Web3-Insider streiten sich über die genaue Definition. Das liegt auch daran, dass DAOs noch in den Kinderschuhen stecken und sich ständig und schnell weiterentwickeln.  

 

Grundsätzlich handelt es sich bei DAOs um eine neue Organisationsform auf Basis der Distributed-Ledger-Technologie (DLT), bei der Regeln in Computercode festgehalten sind und durch sogenannte Smart Contracts automatisch ausgeführt werden.  

DAOs sind ein neuer Ansatz kollektiver Organisation, der es einer Gruppe von Menschen ermöglicht, sich selbst zu organisieren, zu koordinieren und auf transparente Art und Weise zusammenzuarbeiten, um ein gemeinsames Ziel zu verfolgen - dezentral und autonom, wie der Name schon sagt, über physische Grenzen hinweg und mit dem Potenzial, traditionelle Hierarchien aufzubrechen. 

 

Offene Rahmenbedingungen  

Viele der Versprechungen müssen sich erst noch beweisen; beim Aufbau einer DAO betritt man in vielen Bereichen Neuland. Während man von traditionellen Organisationen viel lernen kann, sind die Möglichkeiten bei der Gestaltung der Rahmenbedingungen nahezu unbegrenzt - von den Governance-Strukturen über die Tokenomics bis hin zu den technologischen Werkzeugen. 

 

Die meisten DAOs arbeiten mit einer sogenannten Treasury, einer Art kollektiver Kasse, die von den Mitgliedern verwaltet wird. Diese enthält neben den nativen Tokens oft auch Kryptowährungen wie Bitcoin (BTC) oder Ethereum (ETH), aber auch Stablecoins, manchmal sogar traditionelle FIAT-Währungen. Auf der Basis von Vorschlägen ("proposals"), die von der Community eingereicht werden und über die von den Mitgliedern abstimmt wird, werden damit Projekte und Initiativen finanziert, die im Einklang mit den Zielen der Organisation stehen.  

 

DAOs werfen viele Fragen auf, nicht nur in Bezug auf mögliche Anwendungsfälle und die Rechtssysteme, in denen sie operieren, sondern auch in Bezug auf ihr Potenzial zur Demokratisierung kollektiver Entscheidungsfindung. 

 

Schwächen bestehender Systeme  

Bei der Suche nach fairen, ausgewogenen und gerechten Governance-Modellen für diese neue Art von Organisationen treten nicht selten bekannte Schwächen herkömmlicher Entscheidungsverfahren zutage. 

 

In der Unternehmenswelt ist das Stimmrecht nach Anteilen ("one share, one vote", proportional zur Anzahl der Aktien, die man besitzt) weit verbreitet. Während es fair erscheinen mag, denjenigen mehr Macht zu geben, die mehr Ressourcen in ein Projekt einbringen, argumentieren Kritiker:innen, dass dadurch diejenigen, die bereits reich und einflussreich sind, noch mehr Macht erhalten. Mit anderen Worten: Bestehende Machtstrukturen werden gestärkt.  

 

Die meisten demokratischen Systeme basieren auf dem Prinzip der Wahlgleichheit ("one person, one vote"). Dieses Prinzip berücksichtigt jedoch oft nicht ausreichend die unterschiedlichen Wünsche und Bedürfnisse der Gemeinschaft. Darüber hinaus sind rechtliche Garantien - wie verfassungsmässige Rechte - notwendig, um Minderheiten vor der so genannten Tyrannei der Mehrheit zu schützen - man denke nur an die Abstimmung über die gleichgeschlechtliche Ehe in einer wertekonservativen Gesellschaft. 

 

Innovative Entscheidungsmechanismen  

Ob bei Aragon, Gitcoin, Uniswap oder Aave - innerhalb von DAO-Communities werden verschiedene Modelle der Entscheidungsfindung erforscht, implementiert und getestet, um die Governance und ihre Ergebnisse für die Gemeinschaft zu optimieren. Dabei wird die Stimmkraft auf unterschiedliche Art und Weise berechnet; das Conviction Voting berücksichtigt beispielsweise die Dauer der Unterstützung von Vorschlägen, während Futarchy Prognosemärkte nutzt, um Entscheidungen im besten Interesse der Gemeinschaft zu treffen. Darüber hinaus verwenden einige DAOs holografische Abstimmungen, um die Entscheidungsfindung bei geringer Teilnehmerzahl zu erleichtern. Reputationsbasierte Abstimmungen bewerten Beiträge, die über den blossen Besitz von Token hinausgehen. 

Ein weiteres Konzept, das in den letzten Jahren in der Blockchain-Community an Bedeutung gewonnen hat, ist "Quadratic Voting" (QV), ein Ansatz, der von Persönlichkeiten wie dem Ethereum-Gründer Vitalik Buterin vorangetrieben wird.

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