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AutorenbildMichael Heger

Anreizsysteme zur Regeneration des Planeten

Am Rande der Evolution des Internets zu Web3 hat sich eine Bewegung namens ReFi formiert. Sie verbindet ein alternatives, offenes Finanzsystem mit den Ideen einer regenerativen Ökonomie, um sozialen, ökonomischen und ökologischen Wandel herbeizuführen.


Mit der Blockchain-Technologie zu mehr Ausblicken wie diesem? Der Nationalpark um den Berg Tomorr im Süden Albaniens.

«Die Magie findet immer am Rande statt», steht auf der Webseite von ReFi Zürich. Werden in der Öffentlichkeit Blockchain und Umweltthemen diskutiert, geht es meistens um den Energieverbrauch des Bitcoin Netzwerks. Doch am ersten ReFi-Treffen der Schweiz am Blockchain Center der Universität Zürich wird nicht über Sinn und Unsinn von Konsens-Mechanismen gestritten. Eine kleine engagierte Community aus aller Welt diskutiert konkrete Projekte, Protokolle und Lösungswege, um die Herausforderungen anzupacken, vor denen die Menschheit steht.

Verbindung von Finanz- und Umwelt

ReFi steht für Regenerative Finance. Der Begriff ist in Anlehnung an Decentralized Finance (DeFi) entstanden, einem alternativen, offenen Finanzsystem auf Basis der Blockchain-Technologie. DeFi verspricht als Antwort auf das klassische zentralisierte Finanzsystem (CeFi) eine Demokratisierung von finanziellen Gütern und Dienstleistungen. ReFi baut auf DeFi auf und verbindet die Open-Source-Technologie mit den Überlegungen zur Regenerativen Ökonomie von John Fullerton und Dr. Sally Goerner.


Die ReFi-Bewegung hat sich abseits des Scheinwerferlichts der glitzernden Crypto-Welt entwickelt und will einen wirtschaftlichen Paradigmenwechsel herbeiführen. Weg von einem Verständnis vom Geld als Ziel, hin zum Geld als Mittel zum Ziel. Man versucht neue Systeme zu schaffen, um den Klima- und Naturschutz voranzutreiben, dem Biodiversitätsverlust entgegenzuwirken, Armut und Ungleichheit zu bekämpfen oder Bildung zu fördern.


In ReFi werden Methoden und Prinzipien der Regeneration, die in der Natur vorkommen, auf sozioökonomische Systeme angewandt. Man will wegkommen vom bestehenden degenerativen Wirtschaftssystem und hin zum holistischen Verständnis eines komplexen Systems, in dem mit den Mitteln der Blockchain-Technologie regenerative Anreizmechanismen geschaffen werden.

Mehr Demokratie, Transparenz und Liquidität Im ersten Referat des Tages erläutert Rudolf Hilti vom The HUS.institute, warum er die Verbindung von Finanz- und Umwelt als Voraussetzung für den Kampf gegen den Klimawandel sieht. Mit seiner System Change Foundation bietet er den Rahmen für Diskussionen rund um das Thema nachhaltige Entwicklung am Schnittpunkt von Umwelt, Wirtschaft und Gesellschaft.


Als einer Art Dorf der Zukunft, das Platz für Experimente mit Zukunftsvisionen und neuen Gesellschaftsmodellen schafft, stellt Ralph Horat sein Projekt Next Generation Village vor. Der Think & Do Tank verbindet virtuelles Erleben und praktisches Ausprobieren. In seiner Thesis hat Horat bereits die «Grundzüge einer alternativen Wirtschaftsordnung» entworfen und stellt im Whitepaper Cosmo-localism seine Ideen eines neuen Zivilisationsmodells vor.


Viele Teilnehmer*innen erhoffen sich, mit den Werkzeugen des Web3 dem Greenwashing einen Riegel schieben zu können. Pere Guerra fokussiert sich mit dem Projekt Kakubi auf die CO₂-Zertifikate. Neben steigender Transparenz und Liquidität begründen die Teilnehmer*innen am Panel zur «Evolution of On-Chain Carbon Markets» den Einsatz der Blockchain-Technologie vor allem mit der Demokratisierung des Zugangs zu Zertifikaten. Hier setzt auch das Toucan Protokoll an, das die Infrastruktur für die Tokenisierung der Zertifikate stellt. Eine Billion US-Dollar will das Team um Co-Founder Julian Sommer auf diesem Weg in Klima-Projekte fliessen lassen.


Den Tunnelblick überwinden

Doch ReFi umfasst weit mehr als nur Kohlenstoffdioxid. Erklärtes Ziel ist es, den CO₂-Tunnelblick zu überwinden und eine 360-Grad-Perspektive zur Bewältigung der globalen Herausforderungen einzunehmen.

Innovationen für Umweltmärkte und die Zukunft der Ernährung sind nur zwei von vielen Nachhaltigkeits-Themen, die an ReFi Zürich diskutiert wurden. Das Projekt Encointer verbindet unter dem Motto «Money by the people, for the people» das Konzept einer Gemeinschafts- und Lokalwährung mit einem bedingungslosen Grundeinkommen UBI. Umgesetzt wird das Projekt auf einer Common Good Parachain auf Kusama. Gesa Feldhusen stellt das Pilotprojekt mit der digitalen Währung LEU in Zürich vor. Weitere Projekte sind in Berlin oder Kigali gestartet.


Von eDNA und NFTrees

Für Hühnerhaut sorgt die ETH-Professorin Kristy Deiner mit der musikalischen Interpretation der DNA-Sequenz einer Umwelt-DNA-Probe. Mit ihrem Start-Up SimplexDNA kombiniert sie Web3 und eDNA-Technologie. Laut Deiner können wir heute siebzig Prozent der eDNA-Daten aus einer Biodiversitäts-Probe noch nicht zuordnen. Messen können wir sie trotzdem. Und daraus ableiten, was in einem bestimmten Zeitraum verschwindet.


Kristy Deiner liefert in Zukunft auch Daten für das Projekt GainForest, das Smart Contracts mit Satelliten- und Drohnenbilder sowie Data Science verbindet, um die Abholzung der Regenwälder zu stoppen. «We have to change from an offset to a removal mentality», sagt der Gründer David Dao. Wer die zur Auswahl stehenden Projekte finanziell unterstützt, erhält «NFTrees», in denen detaillierte Messdaten visualisiert werden und veranschaulichen, wie sich ein Stück Wald im Laufe der Zeit entwickelt.


Ein weiterer Schritt in der Ökonomisierung aller Lebensbereiche?

Kritiker monieren, dass auf Blockchains lediglich bestehende Strukturen und damit einhergehende Ungleichheiten reproduziert werden. Findet über ReFi gar eine Ökonomisierung der Natur Einzug in den Natur- und Umweltschutz?


Die Verfechter von ReFI argumentieren, der Prozess, Umwelt-Leistungen einen finanziellen Wert zuzuschreiben, sei nicht mit einer Privatisierung oder Kommerzialisierung gleichzusetzen. Sie betrachten diese Leistungen als öffentliche Güter oder Gemeinschaftsressourcen, zu deren Verwaltung sich herkömmliche Märkte nicht eignen.


Finanzflüsse koordiniert an die richtigen Orte leiten

Ist die Natur nicht längst durch das kapitalistische System vereinnahmt worden? Doch ihre Zerstörung wird als «Externalität» in der Schlussrechnung nicht angemessen berücksichtigt. Die ökonomische «Bewertung» der Leistungen zu ihrer Regeneration könnte deshalb als Grundlage dienen, dass neue Institutionen diese Gemeingüter besser berücksichtigen.


Um globalen Herausforderungen wie dem Klimawandel adäquat begegnen zu können, ist die Koordination aller Akteure über Grenzen hinweg von Nöten. ReFi verspricht aufgrund seiner offenen, dezentralen Natur, solche Koordinationsprobleme zu lösen und Finanzflüsse unter Berücksichtigung des Knowhows lokaler Akteure effizient an die richtigen Orte zu leiten. Noch stecken die entsprechenden ökonomische Anreizsysteme in den Kinderschuhen, doch sie versprechen, einen wesentlichen Beitrag an die Regeneration unseres Planeten zu leisten.

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